Ein Spaziergang durch das alte Flingern von 1875
Wenn man sich in das Jahr 1875 zurück versetzen würde, müsste man feststellen, dass sich in den 125 Jahren das Flingerer Stadtgebiet grundlegend verändert hat. Es gab seinerzeit nur wenige Straßen , die kaum befestigt waren, von denen Flingern durchzogen wurde. Auch die Straßennamen haben sich geändert.
Die Grafenberger Chaussee, in der Verlängerung der jetzigen Schadowstraße-Wehrhahn, war die wichtigste Verbindung aus dem alten Stadtgebiet Düsseldorf. Der „Koppelsweg“, die heutige Ackerstraße, führte bis in die heutige Karlstraße. Ein weiterer wichtiger Weg durch Flingerns Auen war die „Dorfstraße“, die heutige Lindenstraße. Alle anderen Straßen waren nur kleine Wege und Gassen. Die seinerzeitige Köln-Mindener Eisenbahn verlief im Zuge der heutigen Worringer Straße. Erst später wurde sie auf den heutigen Bahnkörper verlegt. Die Straßenbrücke auf der Grafenberger Allee und Ackerstraße bestanden noch nicht. Die Straßenübergänge an diesen Stellen lagen mit dem Bahnkörper in gleicher Höhe.
Beginnen wir unseren Weg am Eingangstor von Flingern, wo das heutige Industriehaus steht und die heutige Lindenstraße anfing. Die „Dorfstraße“ (halten wir uns an die alten Namen) führt durch das Herz von Flingern. Wir überschreiten die Eisenbahngleise und sehen zur Linken die Zollstation liegen, wo die Schlacht- und Mahlsteuer erhoben wird. Dann folgen wir weiter der „Dorfstraße“. Sie ist zu beiden Seiten umrahmt von Dornen- und sonstigen lebenden Hecken, hinter denen Gärten und kleine Wohnhäuser liegen. Das Erste, was ins Auge fällt, ist ein einstöckiges, weißgekalktes Haus mit auffallend vielen kleinen Fenstern, an der Ecke der späteren Mendelssohnstraße gelegen. Im Volksmund heißt es „Zur Hippeburg“.
Einige Schritte weiter kommen wir an den Weg der zur Hoffeld-Ackerstraße-Ecke führt. Er gleicht einem Hohlweg und ist bei Regenwetter regelmäßig für Fußgänger und Fuhrwerke unpassierbar. Er hat so wenig Bedeutung und Verkehr, das die Schranken am Eisenbahnübergang der Köln-Mindener-Eis enbahn – an
der späteren Acker-Worringer Straße-Ecke – von dem Bahnwärter am Eisenbahnübergang der Kölner Straße mit bedient werden kann. Wir überqueren den „Koppelsweg“, dann liegt gleich links die Flinger Mädchenschule, die von Nonnen geleitet wird.
Einige Schritte weiter, an der späteren Ecke- Linden-Wetterstraße befindet sich ein Gehöft, das „Zum Tönnchen“ genannt wird. Früher hieß es auch „Zum Türmchen“. Vermutlich weil es mit einem turmartigen Seitenbau versehen ist. Es stellt so etwa wie das Symbol Flingerns dar. Schon im 14. Jahrhundert sollen hier die Grafen Heck von Vlingern ihren Wohnsitz gehabt haben. Aus dieser Zeit ist uns von einem Gipsabdruck noch ein Siegel dieser Grafen bekannt. Das Tönnchen gehörte zuletzt der Familie H. Dübgen und ist in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts abgebrochen worden. Vor dem Gehöft „Zum Tönnchen“ stehen zwei mächtige wilde Kastanienbäume. Ein dazwischen liegender großer Torbogen bildet die Einfahrt.
Fast täglich sieht man an dieser Stelle Kunstmaler, die das so idyllisch gelegen Gehöft malen. Den Schuljungen wird da des öfteren Gelegenheit zum Modellsitzen gegeben. Die Maler suchen sich geeignete Jungens aus und setzen sie in verschiedenen Stellungen auf mehrere vor dem turmartigen Bau liegende schwere Baumstämme. Für dieses Modellsitzen erhalten die Jungens, wenn „et ene arme Möler is, e Kastenmännche, un wenn et ene riche Möler is, e 5 Silbergroschestück“. Hierbei wurden die Maler von den nicht ausgesuchten Jungens gehänselt, indem sie riefen: „Krutmöler“ oder „Jonges, dot de Botterramme fot, do kömmt ene Möler“. Das Gehöft hat so etwas Sagenhaftes an sich, jeder Wanderer hält dort kurze Rast und - kommt er noch so oft vorbei - betrachtet er dieses Idyll.
Wir wandern weiter und kommen an „dat Kradepohls- oder Kempersgässke“, das parallel mit der späteren Platanenstraße bis zur späteren Hermannstraße und von dort als Feldweg bis zu dem Platz läuft, wo später das Herz Flingerns, der Dorotheenplatz entstehen wird. Am heutigen Hermannplatz, wo dann um die Jahrhundertwende (1899/1900) die Hermannschule entsteht, liegt die große Kunstgärtnerei Granderath. Deren Grundstück grenzt an die „Perlgasse“, die einen Verbindungsweg zwischen der „Dorfstraße“ und dem „Koppelsweg“ darstellt und in den „Koppelsweg“ in Höhe der späteren Apotheke endet.
Einige Schritte weiter gelangen wir an das so schön und ruhig gelegene „Vogelsche Lokal“, das spätere Kettelerheim. Dort nimmt so mancher Bürger aus der Altstadt mit seiner Familie den Nachmittagskaffee mit Bauernblatz ein und es wird manches Fläschchen geleert.
Wir gehen die “Dorfstraße” weiter und sehen zur rechten das “Euler Gut”, das später dem Wohnblock Eulerhof seinen Namen gibt. Gleich hinter diesem Gut geht eine Gasse zur Flurstraße, “Schmedsgasse” genannt (später Degerstraße), an der auf der einen Seite die Dorfschmiede und ihr gegenüber- nach der Hoffeldstraße zu- das „Schmitze Höffke“ liegt. Dann sehen wir links der „Dorfstraße“, etwa bis zur späteren Hoffeldstraße reichend, den „Dickens Hof“, dem ein großer Baumhof, der bis zur späteren
Cranachstraße geht, angehört. Hier zweigt von der „Dorfstraße“, die in der „Grafenberger Chaussee“ endet, die „Bruchstraße“ ab. Am Anfang der „Bruchstraße“, auf der linken Seite, liegt der große „Kürtens Hof“, dessen Wohngebäude noch bis ins 20. Jahrhundert erhalten bleiben soll. Dahinter befinden sich die dazugehörenden Ländereien, in deren Hintergrund der „Engerhof“ gelegen ist, der später seinen Namen der Engerstraße gibt.
Ein Lieblingsfest der Flingerer ist das Flingerer Schützenfest. Lange vorher wetteifern sie, ihr Anwesen am schönsten und saubersten herauszuputzen. Für das Fest selbst werden fast aus jeder Dachluke Fahnen herausgehängt und in den Straßen überall Triumphbogen errichtet, für die das Grün unter schwierigen Umständen aus dem Grafenberger und Gerresheimer Wald oder auch aus dem „Dickens-Busch“ herbeigeschafft wird. Zum Schützenfest werden auch in jedem Hause Kirmesblätze gebacken, ein jeder will den größten, dicksten und leckersten im Hause haben.
Der Gesamteindruck vom damaligen Flingern war unbedingt gut. Dies Dorfgemeinde bot ein friedliches Bild. Die Gehöfte und Anwesen waren durchweg in gutem Zustand. Einige von ihnen, der „Kürtens Hof“, der „Engerhof“ und das Gehöft „Zum Tönnchen“, waren in der Gastwirtschaft „Zum Tönnchen“ als Wandmalereien überliefert worden. Leider ist jedoch die Gastwirtschaft im zweiten Weltkrieg den Bomben zum Opfer gefallen. Nur ein kleines Ölgemälde, das dass alte Gehöft „Zum Tönnchen“ darstellt und von unserem alten Heimatfreund Stötzel gemalt wurde, ist uns als Andenken verblieben.
Die „Bruchstraße gleicht in jeder Weise der „Dorfstraße“ und führt in das sogenannte „Flingerbroich“, das ein mit Buschwerk bestandenes Sumpfland ist und in früheren Jahren mit Hochwasser zu kämpfen hatte.
Eilen wir uns heimwärts zur Stadt zu gehen, damit wir nicht von der Dunkelheit überrascht werden, denn Laternen gibt es in Flingern nicht.
von Hermann Bach